Burnout – Den Perfektionismus bändigen

Die Zahl der Burnout-Betroffenen wächst beständig. Aber ist des tatsächlich die Arbeit und wachsender Stress, der uns krank macht? Oder stecken eigene überzogene Erwartungen an ein perfektes Leben dahinter?

Die Erschöpfung kommt schleichend und wird von den Betroffenen zunächst gar nicht bemerkt. Es braucht einen Schlag von außen um selbst zu erkennen, wie abgestumpft man bereits ist. Diese Auslöser können vielfältig sein: eine Panikattacke, ein Hörsturz oder ein Schlaganfall. Oft bremst aber auch das Umfeld: die Ehefrau, die droht, auszuziehen falls nicht etwas passiert oder die Mutter, die darauf drängt, ärztlichen Rat einzuholen. Oft sind es sogar die Chefs, die Hilfe bringen. Erst wenn dieser Schlag von außen kommt, sind die Betroffenen bereit, hinzuschauen und sich offen einzugestehen, dass sie Hilfe brauchen und nicht mehr können.

Nach der International Classification of Deseases (ICD) ist Burnout keine Diagnose. Aber man könnte es als einen Risikozustand beschreiben. Typische Merkmale sind

  • Täglicher Widerwille, zur Arbeit zu gehen
  • Gefühle des Versagens, Ärgers und Ekel
  • Schuldgefühle und Gleichgültigkeit
  • Mutlosigkeit dem eigenen Erfolg gegenüber
  • Rückzug
  • Tägliche Gefühle von Müdigkeit und Anspannung
  • Mit der Zunahme von Stresshormonen verschlechtert sich die Kommunikation drastisch
  • Ressourcen werden zur Kompensation eingesetzt
  • Die Distanz zur Umwelt wird größer
  • Zynismus und Apathie

Werden diese Merkmale über einen längeren Zeitraum übergangen, kann sich daraus schleichend eine handfeste Krankheit entwickeln: die Depression.

Die Zahlen aus dem Arbeitsleben verdeutlichen diese Entwicklung: gab es 2004 nur 4,6 Krankentage auf 1000 Krankenversicherte, waren es 2012 bereits 87,5 Krankentage. Eine Steigerung um 2000 Prozent in acht Jahren. Häufig führt diese Diagnose dazu noch zu einer Frühverrentung.

Wo liegen die Ursachen?

Bei der Suche nach den Ursachen wird schnell bei den Firmen und den modernen Arbeitsbedingungen, dem globalen Konkurrenzkampf und der schnellen Kommunikation mit permanenter Erreichbarkeit gesucht. Unsichere Jobs, befristete Arbeitsverhältnisse, die Menschen verängstigen. Aber so einfach ist es nicht. Denn Stress wird sehr unterschiedlich empfunden. Es geht um den individuellen Umgang mit unserer Arbeit.

Besonders anfällig für das Ausbrennen und die Erschöpfung sind besonders zwei Typen: Perfektionisten und Idealisten. Beide sind voller Engagement und Enthusiasmus bis sie in ihrem Beruf ausbrennen. Der typische Burnout-Patient ist Mitte 40 und hat bereits über Monate oder Jahre seine persönliche Leistungsfähigkeit überschritten. Die Idealisten, häufig, Lehrer, Ärzte oder Menschen in pflegenden Berufen, fühlen sich moralisch verpflichtet, alles zu geben. Die Perfektionisten setzen sich unrealistische Ziele um ihre eigene Grandiosität zu beweisen, hier sind narzistische Persönlichkeiten besonders anfällig.

Eine Generation von Selbstoptimierern

In dem Bestreben, die eigene Vollkommenheit zu erlangen, Überlegenheit zu beweisen, gehen anfällige Personen weit über ihre eigenen Grenzen hinaus, fast wie eine Sucht. Als Selbstoptimierer meinen Perfektionisten, immer und überall perfekt sein zu müssen, alles im Griff zu haben. Egal ob im Beruf, als Vater oder Mutter, als Partner, die Rollen lösen sich auf. Es ist eine Gesellschaft, in der jeder, Mann wie Frau, alles schaffen kann: viel verdienen und Karriere machen, ein schönes Haus, Familie und Kinder, perfekte Partner, gesund sein und extrem sportlich dazu. Dieses Leistungsniveau ist durchaus für eine gewisse Zeit zu halten. Solange alles rund läuft, spornt es sogar zu Höchstleistungen an, die Bewunderung des Umfeldes ist zusätzliche Bestätigung. Aber irgendwann ist jede Minute des Tages verplant und durchgetaktet. Jede zusätzliche Arbeitsstunde muss woanders eingespart werden. Und so streicht man das Fitnessstudio, sagt die Einladung von guten Freunden ab oder spart am Schlaf. Irgendwann bleibt dann nur noch die Arbeit. Wenigstens da will man gut sein. Wenigsten auf diesem Gebiet will man sich und anderen beweisen, dass man es drauf hat, alles unter Kontrolle. Willensstark und durchsetzungsfähig.

Der Weg in die Krankheit

Dieser Umgang mit der Arbeit und dem eigenen Leben macht dann irgendwann krank. Der Akku ist leer, es gibt keine Entscheidung mehr über das, was ich tun oder lassen will. Da genügt eine Kleinigkeit, eine Frustration, die einen umwirft und aus der Balance bringt.

Heute ist klar erwiesen, Burnout hat mit Stress zu tun, mit chronischem Stress über Wochen und Monate, vielleicht sogar Jahre. Wer nicht die Signale seines Körper wahrnimmt, sondern im Arbeitsalltag mit Kaffee, Alkohol, Nikotin oder Tabletten die Symptome übergeht und sich zu eisernem Willen zwingt, der riskiert Erschöpfung und Depression. Aber nicht nur das: auch das Immunsystem wird geschwächt, das Krebsrisiko steigt, es kann zu Kopfschmerzen, Magenproblemen, Schlafstörungen bis hin zu Angststörungen kommen.

Aber was sind nun die Ursachen für die rasant zunehmende Zahl an Burnout-Fällen? Menschen; die allein leben, haben ein höheres Risiko an Burnout zu erkranken. Und warum sind Personen, die geistig arbeiten, mehr gefährdet als Personen, die körperlich arbeiten? Beide Phänomene, das Single-Dasein und geistige Arbeit haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Dazu kommt, dass sich die Einstellung zu psychischen Krankheiten verändert hat. Wurde früher manche Erschöpfung als körperliche Diagnose erfasst, diagnostiziert man heute eine psychische Störung. Der wichtigste Grund aber liegt wohl in dem individuellen Streben nach einem perfekten Leben, selbstbestimmt und selbstoptimiert. Das gilt gesellschaftlich auch als erstrebenswert und äußerst attraktiv. Damit macht sich eine ganze Generation den Stress zu einem guten Teil selbst.

Wege aus der Krise

Wie sieht nun der Hilfeplan aus? Wer im akuten Zustand völligen Ausgebranntseins in die Klinik kommt, braucht zunächst eine Notfallbehandlung. Antidepressiva helfen durch ihre stimmungsaufhellende und antriebssteigernde Wirkung zunächst dabei, einen geordneten Tagesrhythmus wiederzufinden und einzuhalten. Das gelingt in der Regel relativ schnell. Dann folgt die Phase der Neuaufstellung des eigenen Lebens. In Einzel- und Gruppengesprächen lernt der Patient, die eigenen Wertvorstellungen und Rollenbilder zu hinterfragen. Ergänzend dazu gibt es praktische Tipps und Hinweise, den Rückfall zu verhindern. Das beginnt schon mit der richtigen Ernährung: regelmäßige Malzeiten mit ausgewogenem Speiseplan und ausreichend Zeit. Denn genau das ist es, was viele Manager im täglichen Zeitdruck verlernt haben. Zu lange haben sie sich daran gewöhnt, zwei oder mehr Dinge gleichzeitig zu tun. Sie vergessen zu essen, oder essen den ganzen Tag über nichts um es abends mit allerlei Fastfood zu kompensieren. Daher ist es wichtig, dass die Erschöpften lernen, sich zu entspannen und sich nur auf eine Tätigkeit zu konzentrieren. Das wird im Achtsamkeitstraining geübt, das den Patienten einiges abverlangt. Die „Rosinenübung“ ist hier für manchen Manager eine echte Herausforderung. Eine Rosine mit alles Sinnen wahrnehmen – tasten, riechen, hören, schmecken – und das über eine Dauer von sieben Minuten. Da kann schon ein gesunder Mensch ungeduldig werden. Aber auch Entspannungsübungen wie das Autogene Training oder die Musekelentspannung nach Jacobson sind geeignete Wege um wieder die innere Balance zu finden.

Stabil zurück in den Alltag

Während des Klinikaufenthaltes lernt der Betroffene vieles über sich selbst, aber ausreichendes Handwerkzeug um sein Leben dauerhaft in den Griff zu bekommen, hat er damit noch nicht. Es geht um grundsätzliche Einstellungen zum Leben, um neue Einsichten und Prioritäten. Kann ich mal auch Hilfe annehmen oder Nein-sagen? Genau das fällt aber Perfektionisten sehr schwer. Es verwundert daher nicht, dass mancher Burnout-Betroffene sein Leben neu ausrichtet, andere Schwerpunkte setzt. Zwar halten die meisten an ihrer Stelle fest, aber fast jeder hat doch ein Ausstiegsszenario im Kopf. Es ist nicht verboten, nach der Erschöpfung wieder das Gleiche zu tun wie vorher. Stress und Engagement haben ja durchaus auch eine positive Seite: sie stacheln uns an, motivieren und stimulieren uns und machen uns glücklich. Man soll wieder zurück finden zur Begeisterung für den Beruf. Nur den Perfektionismus muss man bändigen.

Veröffentlicht am 21. August 2014 von Jutta Wüst